Nein, schüchtern war man bei Bruichladdich ganz sicher nicht: Über 450 (!) neue Whisky-Abfüllungen hat die Islay-Destillerie in den letzten 15 Jahren seit ihrer Wiedereröffnung herausgegeben. Das schaffen die meisten anderen Brennereien in 150 Jahren Geschichte nicht. Und selbst Carl Reavey, Sprecher von Bruichladdich, räumt bei dieser Zahl ein: “Wir haben die Leute vielleicht etwas verwirrt!”
Spätestens seit der Übernahme durch Rémy Cointreau im Jahr 2012 bemüht man sich, das Sortiment zu straffen und die Kernlinien besser hervorzuheben: Bruichladdich steht für ungetorfte Whiskys, Port Charlotte für torfige (ca. 40 ppm) und Octomore für stark torfige (ab 167 ppm) Single Malts. So soll schon am Regal klar werden, was den Genießer bei einer Flasche erwartet.

Carl Reavey versteht es Geschichten so zu erzählen, dass man das Gefühl hat, direkt bei der Wiederauferstehung von Bruichladdich dabei zu sein. Die Destillerie von 1881 hat eine wechselvolle Geschichte mit vielen Besitzerwechseln hinter sich, im Zuge eines erneuten Verkaufs gingen 1994 zum letzten Mal die Lichter aus. Bruichladdich wurde eingemottet. Carl besaß zu dieser Zeit das Port Charlotte Hotel (da sieht man schon wie klein Islay ist). Er erinnert sich noch gut an jenen Tag im Jahr 2000, als auf einmal Mark Reynier, ein Weinhändler aus London, in die Lobby stolperte und stolz verkündete, er werde Bruichladdich kaufen.
Das klang damals absurd: Die Brennblasen standen seit sechs Jahren still, die Marke Bruichladdich war nur intimen Islay-Kennern ein Begriff. Von der ehemaligen Belegschaft waren nur zwei Lagerarbeiter übrig, welche die Fässer gelegentlich wendeten und aufpassten, dass nichts wegkam. Und doch machte Mark Reynier seine Ankündigung wahr und kaufte gemeinsam mit Simon Coughlin und Gordon Wright die Bruichladdich-Distillery für 7,5 Mio Pfund.

Die Anfangszeit war hart: Zwar war ein Großteil der viktorianischen Geräte und Maschinen intakt geblieben, doch in den ersten Jahren konnte Bruichladdich nur Whisky aus seinem Bestand anbieten. Man verkaufte sogar ganze Fässer an interessierte Kunden, welche diese zuhause lagern konnten. Und brachte unter Führung von Brennmeister-Legende Jim McEwan ganz nebenbei mehrere hundert Single Malts für Genießer und Sammler heraus. Sicher nicht die schlechteste Variante, um die Wartezeit zu überbrücken, bis der erste selbst gebrannte Whisky reif ist.


Doch Mark Reynier war ohnehin niemand, der still in einer Ecke sitzt und wartet bis sein Whisky fertig ist. Ganz Whisky-Rockstar pöbelte er erstmal quer und warf den benachbarten Destillerien vor, keinen echten Islay-Whisky zu produzieren. Klar, dass man sich damit in der Branche keine Freunde macht. An dem Vorwurf ist allerdings schon etwas dran: Die meisten großen Brennereien importieren ihre Gerste vom Festland, brennen den Whisky auf Islay und bringen ihn dann nach wenigen Tagen oder Wochen zur Lagerung zurück aufs Festland.
Mark Reynier wollte ein Produkt, welches zu 100 % auf Islay hergestellt und gelagert wird. Letzteres ist Bruichladdich gelungen, bei der Gerste ist man aber weiterhin auf Importe angewiesen: Der Ertrag der Gerstenfelder auf Islay ist einfach nicht hoch genug, um den Bedarf der Destillerie zu decken. Seit dem Abgang von Mark Reynier haben sich die Wogen wieder etwas geglättet. Der Verkauf an Rémy Cointreau (Kaufpreis: unglaubliche 58 Mio. Pfund, mehr als das 7-fache des Wertes im Jahr 2000) wurde von den Fans kritisch beäugt, brachte jedoch den Vorteil, endlich mehr Kapital für eine Expansion zur Verfügung zu haben. Und die soll vor allem mit außergewöhnlichen Whiskys gelingen.

So bilden klassische Age-Statements (also 10 Jahre, 15 Jahre etc.) bis heute die Ausnahme bei Bruichladdich – das Konzept ist ein anderes: Die Destillerie orientiert sich stärker am Terroir-Gedanken des Weinbaus. So gibt es Whisky aus britischer Gerste, aus schottischer Gerste oder aus Gerste, die auf Islay angebaut wird (hier Fotos von der Octomore-Farm). Zusätzlich auch noch Bere Barley, eine alte Gerstensorte. Viele Abfüllungen von Bruichladdich erscheinen nur in stark limitierter Auflage. Sind sie weg, kommt die nächste, leicht veränderte Edition. Ganz wie bei einem guten Wein, bei dem auch jeder Jahrgang ein wenig anders schmeckt.

Dieser experimentelle Charakter der Whisky-Herstellung, bei der jede Abfüllung anders als die vorherige ist, macht es uns Whisky-Redakteuren naturgemäß schwer. Schließlich wollen wir Flaschen vorstellen, die jeder immer und überall kaufen kann und die nicht in wenigen Monaten vom Markt verschwunden sind. Sammlern eröffnet sich bei Bruichladdich aber ein wahres Eldorado mit sehr feinen Abstufungen zwischen den Flaschen.

Obwohl der Whisky noch immer mit Geräten aus viktorianischer Zeit hergestellt wird, können die Mengen sich sehen lassen: 1 Mio. Liter lautet das ambitionierte Ziel für dieses Jahr, die Destillerie hat theoretisch sogar Kapazität für 1,5 Mio. Liter. Aktuell werden 250 Fässer pro Woche abgefüllt, davon 200 Ex-Bourbon-Casks. Und auf Nachfrage zeigt Carl uns gerne die Fasslager der Destillerie. Neben dem klassischen Dunnage-Warehouse mit drei Lagen Fässern übereinander kriegen wir auch ein modernes High-Rack-Warehouse mit 11 Etagen zu sehen.

Einfach unglaublich, so viel Whisky auf einmal zu sehen und einer der Orte, die man bei anderen Destillerie niemals nie zu sehen bekommt (warum wissen wir auch nicht, vermutlich weil man das romantische Folklore-Bild nicht zerstören will, das einige Besucher von der Whisky-Herstellung haben).

Beim Tasting durften wir uns dann von der Qualität der Whiskys überzeugen: Ein Octomore von 2007 direkt vom Fass ist uns dabei besonders herausragend in Erinnerung geblieben. Mit seiner vielschichtigen Struktur und den weichen und doch intensiven Rauch-Aromen zeigt er, dass man Bruichladdich nicht unterschätzen sollte – und warum auch wir öfter mal einen Blick auf die Single Malts der progressiven Destillerie riskieren werden.
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Aktualisiert am 1.06.2023 um 07:35 Uhr | Affiliate Links | Foto: Amazon PA API