Der Morgen danach – die eine Hälfte der Briten wacht mit einem Glücksgefühl auf, die andere mit einem schweren Kater…
Der 24. Juni 2016 wird als historisches Datum in die Geschichte Großbritanniens eingehen. An diesem Tag entschieden sich 51.9% der Wähler für einen Ausstieg des Landes aus der Europäischen Union. Der Brexit soll Realität werden.
Viele Unternehmen, darunter die großen Whisky-Destillerien, hatten bereits vor Monaten vor einem Ausscheiden gewarnt: Diageos Chef warnte seine 4.000 Mitarbeiter in Schottland, dass ihre Jobs bei einem Brexit gefährdet seien. Gemeinsam mit den Chivas Brothers unterzeichnete er einen offenen Brief gegen den Brexit. Auch Pernod Ricard hatte sich in der Presse deutlich für ein Verbleiben in der EU ausgesprochen. Und David Frost, Oberhaupt der Scotch Whisky Association befürchtete gar, dass Whisky-Exporte im Wert von einer Milliarde Pfund pro Jahr in Gefahr seien (aktueller Umsatz der Scotch-Industrie: fünf Milliarden Pfund jährlich)
Das Hauptargument: Die EU bietet den schottischen Destillerien einen freien, offenen Markt für ihre Produkte. Die Whiskys können zollfrei ex- und importiert werden. Nun ist zwar nicht gesagt, dass bei einem Brexit alte Handelsbarrieren wieder hochgezogen werden, kurz: die Briten vollständig aus dem Binnenmarkt ausscheiden. Dennoch befürchten Kenner der Branche, dass zumindest ein Teil der schottischen Whisky-Exporte auf dem Spiel steht.
Nun habe ich mich natürlich gleich gefragt: Kann es mir nicht egal sein, ob die Spirituosenkonzerne statt fünf Milliarden Pfund Umsatz pro Jahr nur vier Milliarden machen? Ja kann es eigentlich schon. Und dann auch wieder nicht. Warum, das versuchen wir in diesem Artikel zu klären.

Was genau bedeutet der Brexit für uns Whisky-Genießer?
Zunächst einmal bleibt alles gleich. Ich war heute früh schon beim Whisky-Händler um die Ecke und der Laphroaig 10 Jahre kostet immer noch 30 Euro. Einen Glenfarclas 15 gibt es für 38 Euro. Auch die anderen Preise sind nicht über Nacht nach oben geschnellt. Der Scotch-Preis scheint (vorerst) stabil zu sein…
Das ist auch nicht verwunderlich, denn obwohl der Tag der Brexit-Abstimmung von den Medien groß gehypet wurde, handelt es sich de facto um einen längeren Prozess: Bis zu zwei Jahre sollen die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU dauern. Und dass auch erst, nachdem sie offiziell angestoßen wurden. Der britische Premierminister Cameron hat nach dem Brexit-Votum jedenfalls gleich mal seinen Rücktritt erklärt. Er will nicht derjenige sein, der einen Antrag zum Austritt bei der EU einreicht. Es wird die undankbare Aufgabe seines Nachfolgers, das gespaltene Land halbwegs geregelt aus der Gemeinschaft zu führen.
Gespalten deshalb, weil die Schotten eigentlich gar nicht aus der EU raus wollen. Schon werden erneut Stimmen laut, die eine Abspaltung Schottlands von Großbritannien fordern. Schottland wäre dann unabhängig von dem Rest der Insel – und könnte auf eigene Faust der EU beitreten. Ob dieses Szenario realistisch ist, wird sich wohl erst in den nächsten Wochen zeigen.

Zurück zur Frage, die mich als aktuell am meisten bewegt:
Wird der Scotch Whisky jetzt teurer?
Das ist schwer zu sagen. Mittelfristig wird es vor allem davon abhängen, wie sich die EU gegenüber Großbritannien verhält. Bleibt der freie Markt nach dem Brexit in bestimmten Bereichen erhalten? Können die internationalen Spirituosenkonzerne eine Art Freihandelszone für Whisky durchsetzen? Das wäre gut für den Preis des Scotch.
Doch es geht auch um Zulieferprodukte: Was ist zum Beispiel mit Ex-Sherryfässern aus Spanien? Was mit Ex-Weinfässern aus Frankreich? Wenn hier in Zukunft neue Zölle dafür sorgen, dass der Import nach Großbritannien teurer wird, so wird sich dies unweigerlich auf den Preis des fertigen Scotch Whiskys mit diesem Finish niederschlagen.
Ebenso wenn die EU anfangen sollte, wieder Zölle auf den Import von britischen Produkten zu erheben. Das wäre genau das große Schreckgespenst, vor dem sich die Whisky-Hersteller fürchten. Denn ein Strafzoll etwa auf Scotch Whisky macht die Produkte bei uns im Laden oder der Bar teurer – und damit gleichzeitig unattraktiver.
Wer seinen Whisky mit Cola trinkt, wird in Zukunft dafür vielleicht Bourbon statt Scotch verwenden. Die Mischung schmeckt etwas anders, aber der Trinker wird sich daran gewöhnen. Wer Spirituosen in gemischter Form trinkt, ist flexibel.
Ob die großen Spirituosen-Konzerne tatsächlich schwere Einbußen erleiden, ist derweil durchaus fraglich: Denn Diageo, Pernod Ricard, Beam Suntory oder Bacardi sind international breit aufgestellt. Sie können zwischen den Marken umschichten. Ärgerlich nur, wenn man gerade aufgrund des jahrelangen Scotch Booms viele Millionen investiert hat und dann womöglich auf teuren und schwer verkäuflichen Whiskys sitzt, die im EU-Markt durch hohe Importzölle schwer absetzbar sind.
Den Whiskys selbst könnte eine solche Absatzpause allerdings ganz gut tun: Dann kommen vielleicht ein paar schnell produzierte No-Age-Flaschen weniger in den Handel und der Scotch bekommt etwas mehr Zeit zum reifen im Fass…

Wir Genießer von Single Malts sind besonders gefährdet
Das Nachsehen haben in jedem Fall die Genießer von Single Malts. Sie werden ihrer Marke treu bleiben wollen – und dafür vielleicht bald draufzahlen müssen. Denn den Geschmack eines Lagavulin, eines Glenmorangie, eines Highland Parks kann man nicht so eben ersetzen. Bei vielen Scotch Whiskys handelt es sich um geschmackliche Unikate. Wer heute noch das Rauchmonster Ardbeg 10 Jahre im Glas hat (aktuell: 35,90 Euro), der wird morgen nicht auf einmal süßen, französischen Cognac schlürfen wollen.
Wir Single Malt-Genießer können vielleicht zwischen den Marken wechseln, vielleicht mal einen Bowmore oder Caol Ila statt des Ardbegs genießen. Wir können einen Speyside-Whisky statt eines Highlanders probieren. Aber wir sind im Ganzen doch an Schottland und an den schottischen Whisky gebunden. Zumal in anderen Teilen der Welt, etwa beim japanischen Whisky, auch keine Schnäppchen mehr zu haben sind.
Es ist sicher zu früh um Panik zu verbreiten. Vielleicht wird alles halb so schlimm, dann fließt der Scotch weiter zum günstigen Preis nach Europa. Vielleicht sorgt der sinkende Kurs des Pfunds sogar kurzfristig für bessere Konditionen bei Bestellungen direkt in Großbritannien.
Aber sicherer fährt auf alle Fälle, wer sich jetzt schnell noch 2-3 Flaschen seines Lieblingswhiskys in den Keller legt bzw. stellt. Für stürmische und unsichere Zeiten.
Titelfoto: Adam Wilson / Unsplash
6 Kommentare
Ich glaube, nicht einmal die bestinformiertesten Politiker können eine Antwort darauf geben.
Viel interessanter finde ich die Frage, die Tim von der Whiskybotschaft aufwirft- was passiert mit den ganzen neuen Destillerien die gerade entstehen? Wird soviel Whisky- wenn er teurer werden sollte- noch getrunken? Oder gibt es einen Rückgang wie vor 30 Jahren und es schließen bald wieder welche?
Ja die kleinen, neuen Destillerien könnten es nach dem Brexit schwer haben. Sie haben viel investiert und nun Lager voller Whisky, der sich in Zukunft eventuell schwerer als bisher verkaufen lässt. Und unendlich lässt sich die Preisschraube auch nicht weiterdrehen. Wenn für 5-jährige Neueinsteiger teilweise schon 50-60 Euro aufgerufen werden, fragt man sich ja ohnehin, was dann der 10 Jahre alte Standard in ein paar Jahren kosten soll, wenn er dann fertig gereift ist…
whisky wird teurer, die preistreiberei läuft schon länger und gründe kommen ständig neue dazu.
Ich denke Schottland wird in der EU bleiben und es ändert sich nichts für unseren geliebten Whisky
Die schottische Regionalregierung bereitet ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit von Großbritannien vor und will eigene Gespräche mit der EU aufnehmen. Die notwendigen rechtlichen Schritte würden jetzt vorbereitet, sagte Regierungschefin Nicola Sturgeon in Edinburgh nach einem Treffen des Kabinetts.
Hm, das Problem könnte aber sein, dass ein unabhängiges Schottland ja nicht automatisch EU-Mitglied sein wird, nur weil das Vereinigte Königreich Mitglied war. Da kommen dann erstmal Loslösungsphase vom UK und dann EU-Aufnahmephase, da können schon viele Jahre ins Land ziehen…
Das ist ein guter Hinweis! Wenn Schottland unabhängig wird, müssten sie als neu gegründeter Staat tatsächlich einen Antrag auf Neuaufnahme stellen und dann auch alle Kriterien erfüllen. Da die EU aber sicher ein Interesse an einer Aufnahme Schottlands hätte, würde sie das Verfahren sicher beschleunigen.